Jeden Tag Gutes tun

Eine Hamburger Familie hat es geschafft, verantwortungsvolles Unternehmertum über vier Generationen zu erhalten: Christoph Wöhlke setzt mit der Drogeriemarktkette Budnikowsky, die in der Hansestadt liebevoll „Budni“ genannt wird, diese Tradition fort und schafft ein ganz eigenes Lebensgefühl

Mit dem Skateboard ist Iwan Budnikowsky 1912 nicht vorgefahren. Damals, kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Als er, gerade mal 23 Jahre alt, im heute zu Hamburg gehörenden Harburg sein erstes Seifen-Geschäft eröffnete. Auch Menschen mit geringem Einkommen sollten Zugang zu Hygieneartikeln haben. Das war sein Ziel. Waschpulver und Seife für Hausmädchen und Hafenarbeiter. Und eine Geschäftsidee, die zu einem Lebensgefühl werden sollte: Budni! So nennen die Hamburger bis heute die Drogeriemarktkette, die in keinem Stadtteil der Hansestadt fehlt. Insgesamt 182 Filialen hat Budnikowsky in der Metropolregion, rund 1.900 Mitarbeiter und eine Philosophie, die bis heute auf unternehmerische Verantwortung setzt.

Motivation und Menschlichkeit

Und ja, Christoph Wöhlke fährt auch häufiger mit dem Fahrrad vor als mit dem Skateboard. Auf zwei Rädern ist die Tour zu den Filialen im Stadtgebiet einfach am praktischsten. Zusammen mit seiner Schwester Julia und seinem Vater Cord Wöhlke leitet der 38-Jährige heute das Unternehmen. Vollbart. Sympathischer Typ. Einer, der weiß, wo er steht, was er will und wie er den Menschen begegnet. Anja Münch zum Beispiel. Die 31-Jährige leitet eine Filiale mitten in der Hamburger City. 19 Mitarbeiter, vom Azubi bis zur Rentnerin. „Es macht einfach Spaß“, sagt die quirlige junge Frau. „Budni hat eine extreme Vielfalt – was sowohl die Standorte als auch die Kunden und Mitarbeiter betrifft, die unterschiedlicher gar nicht sein könnten. Da ist alles dabei, von den kleinen Azubis, die frisch zuhause raus sind, bis zu den älteren Mitarbeitern, die sich zur Rente etwas dazuverdienen. Man braucht diese gesunde Mischung, erst dadurch lebt ein Team.“

Was typisch Budni sei? „Die Atmosphäre. Wärmer, menschlicher. Es gibt Eigenmarken, auch Naturkosmetik und Aktionen wie unsere Flüchtlingspakete – das war extrem.“ Aus einer Filiale kam der Impuls: Gleich mehrere Kunden fragten: „Kann ich hier auch etwas kaufen und direkt für die Flüchtlinge spenden?“ Und dann kamen sie: Massen von Menschen, die einkauften und Tüten für Flüchtlinge vor die Kassen stellten. Münch: „Wir hatten am Anfang noch gar keine Kisten, aber vorne stand schon die Ware. Die Kunden haben uns vertraut und gesagt: Hey, ihr macht das schon. Zuerst haben unsere Mitarbeiter die Sachen persönlich ins Erstaufnahmelager gebracht.

Budnianer helfen

Später wurde das von der Zentrale koordiniert. Für uns war das toll – die Kunden haben gezeigt, wie sehr sie uns vertrauen.“ Bereits vor der Aktion der Kunden hatte das Unternehmen 1.800 Spendentüten mit Eigenmarken-Artikeln im Wert von 6.000 Euro an die Zentrale Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge  der Stadt Hamburg gespendet, nachdem bekannt wurde, dass es vor allem an Hygieneartikeln für Frauen und Kleinkinder fehlte. Typisch Budni eben. Genau wie die Energiesparmaßnahmen in den Filialen, die Wickeltische mit Gratis-Windeln, das Bekenntnis zu „Buy Local“, die Willkommenspakete für Babys, Traubenzucker-Lollis gratis, Liegestühle am Eingang, der Kundenbeirat und die vielen Aktionen, die unter anderem der Budnianer Hilfe e. V. zugutekommen. Bunte Federn sind deren Markenzeichen  – „das kam, weil wir mit den Kindern früher immer nach Bad Segeberg zu den Karl-May-Festspielen gefahren sind“, erinnert sich Gabriele Wöhlke. Die Mutter von Christoph Wöhlke hat den Vorsitz der Budnianer Hilfe e. V. inzwischen vertrauensvoll in die Hände ihrer Tochter Julia gelegt, ist aber auch weiterhin im Vorstand aktiv. Die eigenen Mitarbeiter waren es, die den Verein 1997 gründeten, um vor allem Kindern und Jugendlichen zu helfen. Bis heute hat jede Filiale ein eigenes Hilfsprojekt. Die Buchstart-Taschen, die in Hamburg schon die Einjährigen bei den Vorsorgeuntersuchungen vom Kinderarzt überreicht bekommen, gehen auf die Budnianer Hilfe zurück. Dazu kommt seit 2003 der jährlich verliehene Budnianer-Hilfe-Preis, der an drei Projekte aus Hamburg und der Region geht, die sich besonders für Kinder und Jugendliche einsetzen.

Jeden Tag Gutes tun – wie schafft man es, so einen Satz zu leben und diese unternehmerische Verantwortung dann auch noch an die nächste Generation weiterzugeben? „Das fängt damit an, dass man lächelt, wenn man morgens ins Büro kommt, und freundliche Worte mit den Menschen spricht. Und genau das Gleiche machen wir innerhalb der Familie auch. Da sprechen wir viel miteinander“, sagt Gabriele Wöhlke. Die Ehefrau von Cord Wöhlke, dessen Vater in den Sechzigerjahren Iwan Budnikowskys Tochter Ruth heiratete, ist ein Privatmensch, die ihre drei Kinder und ihre drei Enkelkinder genießt. Gemeinsame Essen, Feste oder Verabredungen an den Wochenenden spielen bis heute eine große Rolle. „Das Vorleben ist das Wichtigste. Aber natürlich bedeutet das auch, dass man der nächsten Generation hilft, indem man sie mit ins Boot holt. Und das früh.“ Christoph Wöhlke, der sich im Alter von sieben Jahren schon in einer Filiale sein Taschengeld aufbesserte, lacht: „Ich hab schon eine 30-jährige Berufslaufbahn hinter mir. Und das für 50 Pfennig die Stunde. Mindestlohn wäre ein Traum gewesen.“

Dann, etwas ernster: „Sie können einem Unternehmen nicht verordnen, Gutes zu tun. Am Ende ist Gutes ja etwas Subjektives und damit für Mitarbeiter ebenso unterschiedlich wie für Kunden. Es geht darum, eine Werthaltung zu vermitteln und mit Taten zu unterlegen, um Menschen zu animieren, das im Unternehmen weiterzugeben. Das Beispiel mit den Flüchtlingen war keine Idee von uns, sondern es entstand in einer Filiale. Aber es war unsere Aufgabe, das Gute zu multiplizieren oder den guten Dingen nicht im Wege zu stehen. Das ist ja häufig das Problem, dass Dinge reglementiert werden, wo doch die Mitarbeiter häufig viel besser wissen, was gut für uns ist.“

Der Ur-Enkel des Firmengründers hat selber Kinder. Und lebt ihnen vor, was auch ihm schon mit in die Wiege gelegt wurde: Bescheidenheit. Bis zum Abitur hat er, so wie seine beiden Geschwister, in den Budni-Filialen gejobbt. Den Führerschein musste er sich selbst verdienen. Genau wie das erste Auto.  „Ich durfte sehr früh lernen, was es heißt, für Geld zu arbeiten“, erinnert sich Christoph Wöhlke. „Als Jugendlicher hätte ich mir schon mal etwas mehr Großzügigkeit gewünscht. Am Ende weiß ich es heute zu schätzen. Klar, jeder ist froh, wenn er Geld hat und sich nicht über jede Anschaffung Sorgen machen muss. Aber das, was man mitbekommen hat, nämlich den eigenen Status nicht durch Geld zu definieren, hilft heute enorm.“ Jeans statt Anzug. Fahrrad statt Limousine.  „Das passt doch nicht zusammen, wenn ich einerseits den Leuten sage, wir wollen hier gut und auf Augenhöhe miteinander arbeiten, und andererseits mit einem Porsche vorfahre. Was wir versprechen und einfordern, das müssen wir auch vorleben. Am Ende sind die Mitarbeiter zugleich unsere Kunden. Unser Verhalten hat da eine starke Signalwirkung.“

Zum Beispiel am Tag, an dem die Azubis ihre Arbeit aufnehmen. Da steht die Familie Wöhlke vorne und nimmt die jungen Leute in Empfang. Richtig familiär gehe es da zu, sagt Annalena Habeck (20). Die Auszubildende ist stolz, gleich in den ersten Monaten Verantwortung übernehmen zu dürfen: „Man traut uns viel zu, lässt uns zum Beispiel die Kunden beraten.“ In der Azubi-Gruppe gebe es nicht nur einen guten Austausch, sondern auch Aktivitäten. Vertrauen, das sei ganz wichtig, betont auch Sabine Schwarzer (51), die als Bezirksverantwortliche gemeinsam mit den Teamleitern für die Auszubildenden in ihrem Bezirk zuständig ist: „Wir bilden auch in Teilzeit aus. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen  gemacht. Frauen, die schon jung Mutter geworden sind, können bei uns eine Teilzeitausbildung machen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sie unheimlich gut organisiert sind, weil sie früh für einen kleinen Menschen Verantwortung übernehmen mussten. Wir profitieren davon. Und die Auszubildenden auch.“

Wenn man dann noch hört, dass nach Christoph und Julia nun auch ihr jüngster Bruder Nicolas mit im Unternehmen ist, liegt die Frage nahe: Wie schafft es eine Familie, dass die Begeisterung für eine Unternehmensphilosophie nicht nur auf Mitarbeiter und Kunden, sondern auch auf die komplette Familie überschwappt? „Ich hätte mich gefreut, wenn wenigstens einer der drei gesagt hätte, ich mach etwas ganz anderes …“, sagt Gabriele Wöhlke. „… na ja, das Leben ist ja noch nicht zu Ende“, lacht Christoph Wöhlke. Und doch, die Weichen sind gestellt. Das macht Gabriele Wöhlke irgendwie auch stolz: „Was wir vorgelebt haben und was sich innerhalb der Familie abgespielt hat, war offensichtlich nicht abschreckend – und der Reiz war da, es mitzumachen.“ Im Alltag gibt es natürlich auch mal Konflikte. „Die muss man aushalten“, sagt Cord Wöhlke, der die Entscheidungen dann gerne auch mal den Kindern überlässt.

Die Kunden mit im Boot

Das soziale Engagement, so wirkt es, ist ebenso wichtig wie der wirtschaftliche Gewinn. Fragt man Gabriele Wöhlke, welche Termine für die Budnianer Hilfe sie am meisten bewegt haben, so waren es immer die mit Kindern. „Kinder waren für mich immer ganz wichtig, denn sie brauchen unsere Hilfe, wenn sie schutzlos sind. Es gibt immer noch genügend Kinder, die nicht in Geborgenheit aufwachsen. Gerade bei ihnen kann man noch viel verändern, um sie für die Zukunft stark zu machen.“

Wo genau Bedarf ist, wo Hilfe, unternehmerische Verantwortung und Mitdenken gefragt sind, entscheiden nicht nur die Familie Wöhlke und ihre Mitarbeiter. Geht es um Fragen wie Engagement, Umweltschutz oder um die Nachhaltigkeit im Sortiment,  hat Budni einen eigenen Kundenbeirat, der sich aus Vertretern von Organisationen aus dem Umwelt- und Sozialbereich zusammensetzt und das Unternehmen aus Kundensicht beurteilt. „Wir beraten Budnikowsky bei seiner Anstrengung, bei der unternehmerischen Verantwortung noch besser zu werden“, erklärt Knud Bräutigam (52), Mitarbeiter des Diakonischen Werks Hamburg. „Vieles ist ganz pragmatisch, zum Beispiel Ideen, um Energie einzusparen. Unser Part von der Diakonie ist es, darauf hinzuweisen, dass man bestimmte Zielgruppen in den Blick nimmt: Senioren, Familien, junge Mütter.“ Für ihn persönlich bedeute der Kundenbeirat auch immer, zu lernen, sagt Bräutigam. „Lernen, was das Unternehmen in Zeiten großer Konkurrenz auszuhalten hat und wie trotz dieser Konkurrenzsituation unternehmerische Verantwortung an erster Stelle steht. Das ist etwas, was mich sehr beeindruckt. In Zeiten, in denen es viele Menschen gibt, die in schwierigen Situationen leben, und es zugleich große ökologische Herausforderungen gibt, ist es umso wichtiger, dass Unternehmen ihre Verantwortung erkennen und umsetzen.“

Warum gerade auf dem Markt der Drogeriemarktketten so stark auf Themen wie Verantwortung, Nachhaltigkeit, gesellschaftliches Engagement und Umweltschutz gesetzt wird – man denke an Rossmann oder dm –, liegt nahe, findet Christoph Wöhlke: „Sie sind alle inhabergeführt. Das macht schon einen Unterschied.“ Typen eben, die für eine Sache stehen. Allerdings war die unternehmerische Verantwortung bei Budnikowsky bereits von Beginn an da. Christoph Wöhlke: „Während sich andere Unternehmen eher langsam dahin entwickelt haben, hatte bei uns das schon der Gründer in seiner DNA. Iwan Budnikowsky hat damals bereits gefragt, wie man in Zeiten von Wirtschaftskrise und Weltkriegen Menschen mit wenig Einkommen Konsumgüter zugänglich machen kann, auch unter Einsatz des privaten Vermögens. So war am Anfang das Engagement vor allem auf das Innenleben des Unternehmens bezogen, indem man schaute, wie man denen helfen kann, die in Notsituationen sind. Dann wendete sich das in der dritten Generation immer stärker nach außen.“ Während aber die Konkurrenten bundesweit expandieren, setzt Budni weiterhin auf die Menschen in und um Hamburg. „Heimat“ – sie ist ein wichtiger Faktor, erklärt Wöhlke: „Wir befinden uns ja auf einem sehr gesättigten Markt. Früher gab es mehr als zehn Drogerieketten. Alle, die nicht ganz groß waren und auch nicht ganz klein, sind weg. Wir haben uns über Jahre und Jahrzehnte so stark an die Region angepasst, dass unser Konzept auch nur hier funktioniert.“ Als Lebensgefühl. So wie der Hafen. Wie der Michel. Oder St. Pauli.

 

Fotos: Arne Weychardt